Interview mit Volker Häring von „tandem4family“

Auf zwei Rädern durch China, zwei Erwachsene und zwei Kleinkinder, mit Anhänger und Kindersitz. Eine Schnapsidee? Nicht wirklich! Am 01. April 2015 starten Volker und seine Frau Zornica mit den beiden Kindern Sarah (6) und Nora (3) und einem Tandem plus Doppelsitzanhänger in Shanghai, um mal eben nach Peking zu radeln. Zwei Monate, 3.000 Kilometer, Eine Familie. Wir freuen uns, euch eine außergewöhnliche und sportliche Familie vorstellen zu dürfen.

tandem4family
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Mit dem Fahrrad von Shanghai nach Peking. Wie kommt man auf eine so ungewöhnliche Reiseidee – viele würden auch sagen „Schnapsidee“? 

Wir haben uns in Peking kennen- und lieben gelernt, ich fahre ca. 10.000 km mit dem Rad, mehr als die Hälfte davon durch Asien. Zornica hat nie Radfahren gelernt, hatte aber Lust auf eine Radtour, die Kinder sind noch zu jung, um Radtouren zu fahren und wir wollten unseren Kindern China zeigen. Schon war die Schnapsidee fertig! Die Umsetzung dauerte dann ein wenig länger, vor allem die Suche nach dem richtigen Tandem und dem richtigen Anhänger gestaltete sich schwierig.

Inwiefern haben eure Berufe und die Erfahrung mit dem Reiseziel eure Entscheidung für das Reiseziel beeinflusst? Sollte man bei ungewöhnlichen Reisezielen, wie China, eine gewisse Grunderfahrung mit dem betreffenden Reiseland mitbringen?

Zornica und ich haben beide Sinologie studiert und sind dem Land weiterhin verbunden. Ich organisiere mit China By Bike seit 21 Jahren geführte Radtouren durch China. Daher war die Reise weder sprachlich noch kulturell eine große Herausforderung für uns. Asienerfahrung wäre schon gut, wenn man sich mit dem Rad durch China wagt, es geht aber notfalls auch ohne. Größtes Hindernis ist die Sprache, da Englisch in China so gut wie nicht gesprochen wird.

Wie habt ihr euch zuhause in Deutschland auf diese Reise vorbereitet (technisch, körperlich und psychisch)?

So doof das jetzt vielleicht klingt: Körperlich und psychisch haben wir uns kaum vorbereitet. Mit zwei kleinen Kindern und durch unsere Berufe blieb uns leider nur wenig Zeit zur Vorbereitung. Klar, die ungefähre Routen haben wir geplant, ein paar Übernachtungen vorher gebucht. Ich bringe durch meine anspruchsvollen Radtouren eine sehr gute Radfitness mit, Zornica radelt immerhin zusammen mit mir auf dem Tandem zur Arbeit. Am meisten Aufwand ging noch in die Technik. Die Frage: Was nehmen wir an Ersatzteilen mit? Wie viel Gewicht verträgt unsere Familienkutsche? Schon früh war klar, dass wir maximal eine Satteltasche pro Person mitnehmen könnten. Da musste dann alles rein: Kleidung, Medikamente, Technik, Spielzeug, Ersatzteile. Letztendlich wurden es dann zwei große Satteltaschen für die Eltern und zwei Lowrider-Taschen für die Kinder. Dazu zwei Lenkertaschen und eine kleine wasserdichte Reisetasche als Backup, die wir hinten auf den Anhänger geklemmt haben. Vor der Reise und dann auch noch on tour habe ich dann noch Kleinigkeiten justiert. Probetouren haben wir kaum gemacht, nur einmal ging es unter Realbedingungen, das heißt inklusive Gepäck in den Berliner Grunewald.

Mit einem Kinderanhänger durch China

Wie haben die Kinder eure Reiseidee aufgenommen und vor allem, wie haben sie diese Reise im Nachhinein reflektiert? Was konnten sie aus dieser ungewöhnlichen Reise lernen?

Als wir zum ersten Mal über die Reise geredet haben, waren beide Kinder begeistert. „Hurra, wir fahren nach China!“ haben sie gerufen und der Reise entgegengefiebert. Dann gab es Sarahs so geliebten Maultaschen mit Shrimps nicht, die Chinesen wollten sich immer mit den Kindern fotografieren lassen und es regnete die ersten Tage. Die Stimmung war im Keller! Nach zwei Wochen hatten sich Sarah und Nora dann an China gewöhnt, fanden das alles sehr spannend und sind immer mehr zu „Reisenden“ geworden, die an der ständigen Veränderung und den neuen Orten, Menschen und Unterkünften ihre Freude hatten und das Unterwegssein als großes Abenteuer und gleichsam Normalität auffassten. Beide Kinder sind auf der Reise unheimlich selbstständig geworden, haben ein wenig Chinesisch und Englisch gelernt und Geschmack an Radtouren gefunden. Im Rückblick finden sie die Reise ganz super, reden von den tollen handgemachten Nudeln und von einzelnen Ereignissen, die sie erinnern. Sind aber auch sehr froh, wieder zu Hause zu sein. Nur ab und zu fragen sie nach, wann wir mal wieder eine Radtour machen.  

Volker, du beschreibst ja auf eurer Internetseite, dass ihr bei Testfahrten in Deutschland bezüglich des Gewichts eures ursprünglichen Reisegefährts (Tandem + Chariotanhänger) an eure Leistungsgrenzen gestoßen seid. Durch Zufall seid ihr dann auf den WeeHoo-Anhänger gestoßen, mit dem ihr die Reise dann angetreten seid. Was ist der große Vorteil dieses Anhängers?

Der größte Vorteil des WeeHoo ist seine Beweglichkeit. Auch wenn es mal eng wird, kommt man noch durch. Er ist etwas leichter als der Chariot. Am wichtigsten war mir, dass die Kinder etwas vom Land sehen, was im Chariot ja nur begrenzt möglich ist. Zumindest theoretisch ist es ebenfalls ein Vorteil, dass das Kind, das vorne sitzt, in unserem Fall Sarah, mittreten kann. In der Praxis hatte Sarah aber leider nur selten Lust dazu. Die Laufeigenschaften des WeeHoo sind eindeutig besser als beim Chariot, es gibt zudem wenig, was kaputt gehen könnte. Der   einzige Nachteil des Weehoo ist, dass er relativ schmal und lang und damit sehr windanfällig ist. Es ist auf jeden Fall eine Herausforderung, die Familienkutsche in dieser Konfiguration in der Spur zu halten, vor allem bei Seitenwind. Ich habe auf der Tour auf jeden Fall gewaltig Armmuskeln zugelegt!

Tandem mit Weehoo-Anhänger

Wie ist das Fahrverhalten eines solchen langen Gefährts, Tandem mit Zweisitzanhänger? Wir als radelnde Familie kennen ja die Probleme mit diversen Familienkutschen aus der Praxis. Gab es wirklich keinerlei Schwierigkeiten unterwegs beim Radeln bzw. beim Rangieren eines solchen langen – und sicherlich auch schweren – Gefährts?

Was ich etwas unterschätzt habe, ist die Länge der Familienkutsche und die entsprechenden Fliehkräfte, die ich ja vorne am Lenker aushalten musste. Bei starkem Seitenwind war das schon grenzwertig. Wenn es mal rollte, war es ein phantastisches Fahrgefühl. Wobei das relativ hohe Gewicht des Koga-Tandems hier von Vorteil war. Mit einem leichten Trekkingrad und dem WeeHoo, was wir in Berlin ja manchmal auch fahren, ist die Gewichtaufteilung zwischen Rad und Anhänger etwas grenzwertig. Beim Rangieren waren wir schon bald ein eingespieltes Team. Was die Beweglichkeit und Flexibilität angeht, war unsere Familienkutsche schon ideal. Selbst die Tage, an denen ich allein mit dem Gespann unterwegs war, ließ sich die Familienkutsche gut fahren.

Wie haben die einheimischen Menschen auf euch reagiert? Wart ihr in China eine exotische Erscheinung oder ist eine radelnde Familie im Reich der Mitte nichts Außergewöhnliches?

Selbst wenn wir Chinesen gewesen wären, hätten wir für ähnliches Aufsehen gesorgt. Zwar machen immer mehr Chinesen längere Radtouren durchs Land, teilweise auch Rentner oder Familien mit Kindern. Aber unsere Familienkutsche sorgt ja schon im Berliner Stadtverkehr für Aufsehen. Zudem sind wir ja oft durch Regionen gefahren, die normalerweise keine Touristen und schon gar keine westlichen Radler sehen. In der Regel dauerte es nur ein paar Minuten, bis wir bei einem Stopp von einer Menschenmenge umringt waren. Für die Kinder war das teilweise schwierig, da viele Chinesen von den für ihre Verhältnisse „blonden“ Kinder fasziniert waren und sich mit ihnen fotografieren lassen und sie streicheln wollten. In den großen Städten wurden wir oft angesprochen und gefragt, wo man die Familienkutsche kaufen könne. Vor allem ältere Herren outeten sich als Fahrradfreaks und waren von dem Tandem fasziniert, junge Mütter wiederum von dem Anhänger. Davon hätten wir auf der Tour sicherlich ein halbes Dutzend verkaufen können!  

Ein Gefährt das Aufsehen erregt

Wie steht es mit den Gefahren im chinesischen Straßenverkehr. Bekanntlich lebt man als Fußgänger, und auch Radler, in China sehr gefährlich, was ja nicht zuletzt aus der – von hier aus gesehen völlig unverständlichen – chinesischen Rechtslage resultiert, dass der Unfallverursacher weniger Schwierigkeiten zu erwarten hat, wenn das Unfallopfer tot ist. Wie seid ihr mit dieser Gefahr umgegangen?

Ehrlich gesagt finden wir den chinesischen Verkehr gar nicht so schlimm. Notorische Rechthaber und selbsternannte Verkehrserzieher gibt es in China kaum. Im Zweifelsfall bremst der chinesischen Verkehrsteilnehmer und ist immer bremsbereit, weil er ja weiß, dass ständig etwas quer kommen kann. Bei den Radreisen in China, die ich seit mehr als 20 Jahren organisiere, gab es noch nie einen Unfall mit Fremdeinwirkung. Und wir hatten auf der Tandem-Tour auch nur eine einzige brenzlige Situation, als bei der Ausfahrt aus Dalian ein Taxi nach rechts abbog und uns übersehen hat. Das passiert mir in Berlin aber täglich an fast jeder Kreuzung. Natürlich haben wir uns die Frage gestellt, was wohl bei einem Unfall passieren würde. Glücklicherweise ist das chinesische Gesundheitssystem inzwischen sehr gut und, zumindest in den Regionen, die wir bereist haben, sehr engmaschig. Und die Geschichte mit dem Autofahrer, der noch einmal über ein verletztes Opfer fährt, weil dieses tot weniger Kosten verursacht, ist glücklicherweise ein Ereignis, das sich vor langer Zeit zugetragen hat (wenn ich mich recht erinnere sogar auf Taiwan und nicht in der Volksrepublik!) und heute keine Relevanz mehr hat. 

Radeln in China

Wie habt ihr eure Fahrtage gestaltet? War es ein Wechsel von Sightseeing und fahren, oder habt ihr das klassisch getrennt? Und welche Erlebnisse sind euch noch heute in lebhafter und schöner Erinnerung geblieben?

Wir haben versucht, nie den ganzen Tag nur zu radeln. Das hätten die Kinder auch nicht mitgemacht. Alle paar Tage haben wir dann auch ein bis zwei Ruhetage eingeplant, die wir auch für Sightseeing genutzt haben. Aber auch an den Fahrtagen haben wir uns immer wieder Sachen angesehen. Selten sind wir mehr als 60 Kilometer geradelt, meist nur um die 40. Alle 15 Kilometer haben wir spätestens eine kurze Pause gemacht, alle 30 Kilometer eine lange. Meist an einem Obststand, einem kleinen Laden oder an einem Spielplatz. Die Kinder haben dann gespielt, ein Eis geschleckt oder eine unbekannte Frucht probiert und wir haben uns einen Kaffee oder einen Tee gegönnt.  

Generell ist es schwierig zu sagen, welches Ereignis besonders in Erinnerung geblieben ist. Phantastisch war natürlich der Moment, als wir auf die Straße des Ewigen Friedens, die Haupttraversale Pekings eingebogen und ihr bis zum Platz des Himmlischen Friedens gefolgt sind. Aber auch die Touren entlang des Kaiserkanals, durch die endlosen Zwiebel- und Knoblauchfelder in der Provinz Jiangsu, die vielen kleinen Begegnungen und Gespräch sind im Gedächtnis geblieben.

Spielen verbindet Kulturen

Ist es eigentlich für den Verlauf einer solchen Radreise wichtig eine konkrete Streckenplanung zu haben, oder könnte es besser sein, die Dinge auf sich zukommen zu lassen, damit man nicht von der Realität eingeholt wird? Was ist eure Erfahrung dazu, nach dieser Reise?

Eine Grobplanung ist schon wichtig. Generell gilt: Weniger ist mehr. Bei Radtouren sollte es ja sowieso um mehr als „schneller-höher-weiter“ gehen. Glücklicherweise hat China eine sehr gute Infrastruktur, so dass es uns leicht gefallen ist, die Dinge auf uns zukommen zu lassen. Wenn man weiß, dass auch kleine Nebenstraßen in der Regel asphaltiert sind und, zumindest im chinesischen Osten, alle 20 Kilometer ein Hotel auf einen wartet, macht das die Sache natürlich deutlich einfacher. Wir hatten die Radroute in Berlin bereits relativ detailliert geplant und einige Hotels vorgebucht. Aber eher als Sicherheit denn als fester Plan. Vieles haben wir vor Ort spontan geändert und einige der Hotels wieder storniert oder umgebucht. Aus dem heutigen Blickwinkel würden wir eher weniger als mehr planen und uns noch mehr treiben lassen. Und auf jeden Fall noch mehr Ruhetage einplanen! 

Was könnt ihr anderen Familien mit auf den Weg geben, die eine Radreise mit einem solch ungewöhnlichen Reiseziel planen? Was ist aus eurer Sicht ganz wichtig und unverzichtbar?

Erst einmal: Keine Angst! Vor allem nicht vor der eigentlichen Reise. Natürlich braucht das Reisen mit Kindern, vor allem mit dem Fahrrad, eine ganz spezielle Logistik und die kann zuweilen ganz schön nerven (und geht manchmal auch richtig ins Geld!). Aber das meiste ergibt sich vor Ort. Auch keinen Stress machen! Die Kinder entwickeln in diesem Alter schnell ihre eigene Routine und ihre eigenen Rituale, die mit der Reise zusammenhängen. Lasst Euch darauf ein und besteht nicht auf vorgeplante Abläufe und Routen! Wichtig ist, mit möglichst wenig Gepäck zu reisen und das Rad/die Räder beweglich genug zu halten. Plant kurze Etappen, die auch für die Kinder etwas bieten. Und rechnet ausreichend Ruhetage ein.

Mit Kindern im Reich der Mitte

Vielen Dank an euch für die interessanten sowie spannenden Einblicke in euer Leben als radelbegeisterte Familie. Wir wünschen euch noch viele reizvolle und aufregende Radabenteuer!

Mehr von Familie Häring und ihre außergewöhnliche Abenteuerreise erfahrt ihr auf der wunderschön gestalteten Internetseite http://tandem4family.de/

 

Steckbrief der Familie „tandem4family“

Volker Häring ist Mitbegründer und Geschäftsführer des Radreiseanbieters China By Bike (www.china-by-bike.de)

Zornica Kirkova ist Sinologin und Kunsthistorikerin.

Sarah (6) fährt nur Fahrrad, wenn auf dem Rahmen Lillifee den Zauberstab schwingt.

Nora (3) ist das Nesthäkchen und fährt mit Begeisterung Plastikbagger.

Im April 2015 fuhren sie mit ihren Kindern zwei Monate durch China – von Shanghai nach Peking.

Alle Bilder dieser Seite unterliegen dem Copyright von © Volker Häring.

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